Interview mit Wolfgang Hohlbein – Teil 1
„Es ist für mich immer wieder aufregend und ein besonderes Erlebnis, aus einem kleinen Funken, einer kleinen Idee, ein Feuer einer neuen Geschichte zu entfachen und dann daraus ein neues Buch zu entwickeln.“
Herr Hohlbein, Sie sind einer der beliebtesten und erfolgreichsten deutschen Autoren auf dem Gebiet der fantastischen Literatur. Wo nehmen Sie Ihre Ideen für neuer Geschichten und Buchtitel her?
Wolfang Hohlbein: Im Grunde gibt ist nicht `die Quelle´ für Ideen. Vieles entsteht tatsächlich in der Wirklichkeit, denn man kann aus allem eine Geschichte entstehen lassen. Oft sind es Kleinigkeiten, die zu Ideen für einen Handlungsstrang innerhalb einer Geschichte führen. Ganz oft bei fantastischen Romanen sind Inhalte in den Büchern aus Erlebnissen meines Alltags entstanden. Solche teils banalen Kleinigkeiten, teils außergewöhnlichen Erfahrungen inspirieren mich dann beim Schreiben und bilden den Ausgangspunkt einer Geschichte. Es ist wie der erste kleine Kieselstein, der die Lawine für das Buch dann ins Rollen bringt.
Gerne kann ich Ihnen hierfür eines meiner Lieblingsbeispiele nennen: Es ist lange her da, war ich im Taunus mit meinem PKW unterwegs. Zu dieser Zeiten gab es jedoch noch keine Navigationsgeräte und schon gar keine Handys. Ich hatte nur noch wenig Benzin im Tank meines Autos, es war tiefster Winter. Ich fuhr über Landstraßen durch Wälder, und – wie sollte es auch anders sein – hatte ich zudem noch meinen Mantel daheim vergessen. Je länger ich so durch einen verschneiten Wald fuhr, ohne Orientierung wo ich war, desto größer wurde meine Sorge mit meinem Auto mitten in diesem `Nirgendwo´ liegen zu bleiben. Mein Puls stieg im gleichen Maße, wie die Nadel meiner Tankanzeige gen Null sank. Doch dann sah ich hinter einigen Bäumen ein Licht eines beleuchteten, alleinstehenden Hauses. Ich überlegte kurz anzuhalten, auszusteigen und am Haus nach dem Weg zu fragen. Jedoch entschied ich mich damals anders und fuhr stattdessen weiter. Minuten später erreichte ich zu meiner Freude eine Tankstelle und somit wendete sich die Situation zum Guten. – Dieses Erlebnis hat mich jedoch für meinen Roman `Der Widersacher´ inspiriert, bei dem das Buch mit dieser erlebten Szene genau so beginnt. Einziger Unterschied zu dem Erlebten ist, dass die Hauptperson des Romans – im Gegensatz zu mir – doch aus dem Auto aussteigt und sich zum Haus im Wald begibt, um dort nach dem Weg zu fragen. Was sich jedoch für die Hauptfigur im Buch dann als verhängnisvollen Fehler entpuppt…! (lacht)
Dieses Beispiel dient wunderbar als Blaupause, wie Buchszenen entstehen können oder Ideen für neue Handlungsstränge in Büchern sich entfalten. Oft zum Beispiel, bei meinen fantastischen Geschichten, Romanen mit Handlungen in fremden Welten oder auf anderen Planeten spielen Kleinigkeiten, die ich im realen Leben wirklich erlebt habe, für die Handlung eines Buches dann eine existenzielle Rolle. Bilder sind zudem für mich ein sehr großer Fundus für Ideen. Denn ich betrachte ein Bild und sehe oder interpretiere unter Umständen etwas ganz anderes, als dass das Motiv beim ersten Betrachten erscheint. All dies dient dann als `Aufhänger´ für eine weitere Geschichte. Alles Weitere ergibt sich dann im Fluss des Schreibens. Oft erzählen sich die Geschichten danach dann beinah `wie von selbst´. Meist erfolgt dies unbewusst, als wenn man sich in einen Traum begibt, und die Fantasie und Gedanken wandeln sich beim Schreiben dann in Worte und erzählen dann die Story des jeweiligen Buches.
Es ist für mich immer wieder aufregend und ein besonderes Erlebnis, aus einem kleinen Funken, einer kleinen Idee, ein Feuer einer neuen Geschichte zu entfachen und dann daraus ein neues Buch zu entwickeln.
„Ganz oft bei fantastischen Romanen sind Inhalte in den Büchern aus Erlebnissen meines Alltags entstanden.“
Viele Ihrer Romane greifen ja historische Elemente auf. Die Buchreihe `Die Templerin´ zum Beispiel spielt im nördlichen Deutschland des 12. Jahrhunderts zur Zeit der Kreuzzüge und Tempelritter. Was fasziniert Sie so an dieser historischen Welt des Mittelalters?
Wolfgang Hohlbein: Es ist die Epoche, die mich schon immer am meisten fasziniert hat. Ich habe zum Beispiel als kleiner Junge schon immer gerne mit Ritter-Figuren gespielt. Und irgendwo ist ein Teil dieser Faszination für diese Zeit immer noch in mir. Zwar würde ich um keinen Preis der Welt in dieser mittelalterlichen Zeit gerne gelebt haben, nicht mal als König. Aber ich finde diese romantisierten Bilder, die man persönlich mit der Zeit des Mittelalters verbindet – tapfere Helden und Ritter, Burgfräulein oder auch fantastische Tierreiche und Welten – nach wie vor aufregend. Das alles in Büchern mit der Neuzeit und Wirklichkeit zu verbinden und daraus eine Handlung zu entwickeln, das fand ich immer schon toll.
Auch hierfür kann ich Ihnen ein weiteres interessantes Beispiel bieten: Im 12. Jahrhundert haben auf Malta zwölf Johanniter-Ritter eine Festung eine Woche lang gegen dreitausend Angreifer gehalten. Sie waren am Ende zwar leider alle tot, haben sich aber heldenhaft gewehrt. Und in Unterzahl so lange einer solchen Übermacht trotzen zu können, bietet natürlich Raum für Fantasie und die Interpretation einer übernatürlichen Erklärung. Wahrscheinlich war es in Wirklichkeit keine Übernatürlichkeit, sondern vielleicht die Begebenheit der Festung oder der Kampfeswillen der Johanniter-Ritter, die sie zu dieser Leistung geführt hat. Jedoch bot die Story mir eine erneute Idee für die Grundessenz eines weiteren historischen Romans, der dann von mir mit dem Titel `Das Siegel´ umgesetzt wurde.
Erzählen Sie unseren Lesern doch bitte etwas mehr über die abenteuerliche Reise, die Ihre Protagonisten `Robin´ in `Die Templerin´ erlebt.
Wolfgang Hohlbein: Also, Robin ist erst einmal ein ganz normales Bauernmädchen, dass durch eine Reihe unglücklicher Umstände in den Templerorden verschlagen wird. Sie wird verletzt von den Templern vorgefunden und gesund gepflegt. Sie halten sie im ersten Moment für einen Jungen unter den Umständen wie sie vorgefunden wird und sie spielt die Rolle weiter. Ihre Umgebung weiß nach einer gewissen Zeit schon von ihrer wahren Identität, aber sie ist durch persönliche Kontakte dann im Verlauf des Buches so gut vernetzt, dass sie als Frau in dieser Männergesellschaft erst einmal weiterleben kann. Und es verschlägt sie tatsächlich in den fernen Osten in den Orient, wo sie verkleidet als Tempelritter `ihren Mann steht´.
`Die Templerin´ ist als Reihe angelegt. Ihre Tochter Rebecca war Co-Autorin der Serie. Wie läuft grundsätzlich die Zusammenarbeit zwischen Ihnen bei dem Verfassen eines Buch-Manuskripts ab?
Wolfgang Hohlbein: Ich halte persönlich relativ wenig davon, wenn man wirklich gemeinsam am Text arbeitet, also an den Worten. Ich denke, da ist `Mord- und Totschlag´ vorprogrammiert, da jeder der Meinung ist, seine Formulierung wäre die bessere. Aber wir arbeiten dann viel an den Geschichten. Das heißt, wir setzen uns zusammen und denken und schreiben gemeinsam an der Rohfassung, sozusagen an dem `Skelett des Buches´. Die Geschichte entsteht dann Stück für Stück während dieser Arbeit. Dann arbeitet man sich daran entlang und einer von beiden schreibt den Schluss. Bei diesem Teil von `Die Templerin´ war es dann eher meine Tochter.
Bei den Geschichten, in denen meine Ehefrau Co-Autorin ist, bilde ich meistens die Schlussfassung ab. Dann mache ich sozusagen `das Fleisch auf das Gerippe´, die letztendliche Ausformulierung. Aber so werfen in dem Schaffungsprozess zwei Leute ihre Ideen zusammen und in dem Fall ergeben dann zwei Mal 50 Prozent nicht 100 Prozent, sondern 200 Prozent. (lacht)
Bei jedem Roman geht man jedoch mit völlig anderen Standpunkten an die Sache heran. Meine Frau ist zum Beispiel mehr der Märchentyp und hat einen ganz anderen Blick auf die Geschichten, Wendungen und Ideen, auf die ich gar nicht käme. Und mit meiner Tochter läuft es ähnlich ab. Bei der Reihe von `Die Templerin´ war es so, dass ich die ersten Bände alleine geschrieben habe. Aber irgendwann aus Zeitgründen – und ehrlich gesagt hatte ich auch ein wenig die Lust verloren, fand die Geschichte aber zu schade, um sie zu beenden – fragte ich meine Tochter, ob Sie Lust hätte, an der Geschichte weiter mitzuwirken. Denn auch sie hat einen leichten `Fable´ für das Mittelalter und ist mittlerweile selbst eine gute Autorin. Und so ergab sich die Zusammenarbeit mit meiner Tochter bei der genannten Buchreihe.
Ihre Ehefrau gilt bei vielen Ihrer märchenhaften Buchwerke als große Inspiration. Ihre gemeinsamen Tochter Rebecca ist zudem wie erwähnt mittlerweile ebenfalls unter anderem als Autorin verschiedenster Jugendbuchromane erfolgreich aktiv. Liegt das `Bücher-Schreiben´ und das Verfassen spannender und fantasievoller Geschichten im Blut der Familie Hohlbein?
Wolfgang Hohlbein: Im Blut, dass weiß ich nicht. Aber es ist das ganze Umfeld bei uns, das sicherlich etwas Besonderes ausmacht. Es dreht sich in unserer Familie vieles um Geschichten, viel um Bücher, um phantastische Welten. Dann ergibt sich das automatisch, glaube ich, wenn man einen leichten Fable für das Erzählen hat, dass man Autor wird. Bei meiner Tochter ist es dann nie so weit gekommen, dass sie sich nur auf das Autorin-Sein beschränken wollte. Sie schreibt ab und zu mal und ihre Bücher sind auch sehr erfolgreich, aber sie ist mehr so eine Allroundkünstlerin. Sie töpfert, sie liebt Bildhauerei, sie malt. Da ist bei ihr das Schreiben nur ein Aspekt.
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Interview: Andreas Detert | Fotos: Tanja Winkler, Heyne, Bastei Lübbe