Interview mit Thomas Thiemeyer
„Von Rückbesinnung möchte ich nicht reden, weil ich nicht glaube, dass der Weg zurück der richtige ist. Nur der Weg nach vorne bringt uns weiter.“
Herr Thiemeyer, seit 2004 sind Sie nun Buchautor und haben verschiedene Bestseller-Romane im Bereich der Jungendbuch- und Krimi-Literatur verfasst. Was oder wer dient Ihnen als Inspiration für Ihre Geschichten?
Thomas Thiemeyer: Wie man so schön sagt: Das Leben! Ich ziehe meine Inspirationen aus einer Vielzahl von Quellen – seien es Reisen, Begegnungen, Erlebnissen – oder aus Dingen die ich gelesen, gesehen oder gehört habe. Autorinnen und Autoren sind wie Schwämme, sie saugen alles auf, bewerten es, verdichten und destillieren es, um dann am Schluss mit einer Story herauszukommen, die sowohl sehr persönlich, als auch (hoffentlich) von großem Interesse für möglichst viele Leserinnen und Leser ist.
„Meine Romane bilden den Wunsch nach dem Unbekannten ab, dem Mysteriösen, dem Unerklärlichen.“
Ihre bekanntesten und mehrfach ausgezeichneten Werke sind sicherlich die Jugendbuch-Reihen `Evolution`, `World Runner`, `Die Chroniken der Weltensucher´ oder Ihre Hannah-Peters-Reihe, die mit Ihrem Debütroman `MEDUSA` in 2004 Ihren Anfang nahm. Was fasziniert Sie an klassischen Abenteuergeschichten, die von der Entdeckung versunkener Kulturen oder der Bedrohung durch mysteriöse Mächte handeln?
Thomas Thiemeyer: Schriftsteller und Schriftstellerinnen sind nicht nur Schwämme, sie sind dazu auch noch sehr egoistisch (lacht). In meinem Fall schreibe ich am liebsten über Dinge, die mich selbst interessieren. Über Themen, von denen ich mich unterhalten fühle und bei denen ich den Eindruck habe, dass sie zu wenig in der Buchlandschaft abgebildet werden. Und das sind ganz klar Abenteuergeschichten.
Wir leben in einer Welt, in der alles erklärt, alles erforscht und alles durchgetaktet ist – wie langweilig! Meine Romane bilden den Wunsch nach dem Unbekannten ab, dem Mysteriösen, dem Unerklärlichen. Wir ersticken an einer Informationsflut und töten damit das ab, was ich unseren `Fantasiemuskel´ nennen. Den Teil unseres Verstandes, der unser Fernweh, unsere Sehnsüchte und unser Vorstellungsvermögen enthält.
Seien wir doch mal ehrlich: häufig sind die Fragen interessanter als die Antworten. Unser `was-wäre-wenn?´-Gen, das in jedem von uns steckt und das leider gerade etwas verkümmert, benötigt dringend Futter und findet es nicht. Außer in der Literatur! Ich hoffe mit meinen Romanen den Leserinnen und Lesern jedweden Alters eine unterhaltsame Zeit zu schenken, in denen dieses kindliche Staunen, dieser `sense of wonder´ wie ihn die Amerikaner nennen, wieder zum Leben erweckt wird.
„Ich nehme meine Leser an die Hand, zeige ihnen Dinge, die sie kennen und führe sie dann immer tiefer hinein in den Kaninchenbau. „
Auf einer Ihrer Recherchereisen zu Ihrem Roman `Nebra´ wurden Sie sogar im Rahmen eine TV-Dokumentation über `Geheimnisvolle Orte` begleitet. Wie wichtig ist Ihnen im Vorfeld eines neuen Buches der Besuch der realen Orte, an der Ihre Story dann möglicherweise seine Handlung findet?
Thomas Thiemeyer: Mit guten Recherchen fängt alles an. Sie sind die Stützpfeiler, auf die sich eine gute Geschichte aufbauen lässt. Wenn sie tragen und belastbar sind, sind die Leser und Leserinnen viel schneller bereit, dem Autor auch auf ungekanntes Terrain zu folgen. Es ähnelt ein bisschen dem, was Zauberkünstler machen. Sie zeigen dem staunenden Publikum etwas Echtes, nur um dann im zweiten Schritt und ohne erkennbaren Bruch etwas zu tun, was eigentlich unmöglich ist. Nichts anderes mache ich in meinen Büchern. Ich nehme meine Leser an die Hand, zeige ihnen Dinge, die sie kennen und führe sie dann immer tiefer hinein in den Kaninchenbau. An dem Punkt, an dem sie merken, dass etwas nicht stimmt, sind sie schon viel zu tief in der Geschichte, um noch umkehren zu können.
Ich reise viel und gerne. Vor allem an Orte, an denen auch meine Geschichten spielen. Das hilft mir, in die Szene `einzutauchen´, alle Sinne anzusprechen und sie zu Papier zu bringen. Diese Reize und Eindrücke möglichst authentisch wiederzugeben, das macht einen guten Weltenbau aus. Es macht auch meine Arbeit leichter. Denn nur, wenn in meinem Kopf `ein Film abläuft´, tut er das auch im Kopf der Leserinnen und Leser.
In Ihrer `Evolution´-Trilogie versetzen Sie die Leserschaft zum Beispiel in eine dystopische Zukunft, in der die Welt ohne Strom zurückversetzt scheint und eine Gruppe von Jugendlichen in dem spannenden Handlungsstrang versucht, dem Rätsel auf den Grund zu gehen, weshalb die Tiere den Planeten zurückerobert haben. Was meinen Sie; stünde eine Rückbesinnung zur Natur der Menschheit ganz gut zu Gesicht, um eine solche Zukunft zu vermeiden?
Thomas Thiemeyer: Von Rückbesinnung möchte ich nicht reden, weil ich nicht glaube, dass der Weg zurück der richtige ist. Nur der Weg nach vorne bringt uns weiter. Allerdings nur, wenn wir aus unseren Fehlern lernen. Zu glauben, der Mensch wäre etwas Besonderes, nur, weil er etwas cleverer ist als seine Artgenossen, war ein Riesenfehler. Wir sind, wie uns der britische Zoologe Desmond Morris so treffend beschrieb, `nackte Affen.´ Fähig zur Herstellung von Werkzeugen, zur Sprache und Schrift, ja sogar zur Entwicklung künstlicher Intelligenz. Ganz erstaunlich. Dennoch sind und bleiben wir ein Teil der Natur und des Lebenskreislaufs dieses Planeten. Zu glauben, wenn uns das alles hier nicht mehr gefällt, könnten wir in ein Raumschiff steigen und wegfliegen, ist eine riesengroße Illusion. Wir müssen uns wohl oder übel mit den natürlichen Gegebenheiten auf diesem Planeten arrangieren und wir sollten das auf eine sanfte und rücksichtsvolle Weise tun. Auch sollten wir uns mit dem Gedanken vertraut machen, dass selbst wir, „die Krone der Schöpfung“ nur ein durchlaufender Posten sind und irgendwann ausgestorben sein werden. Diesem Gedanken gehe ich in „Evolution“ nach.
„Ich wage mal die steile These, dass Korsika die schönste und interessanteste Insel des gesamten Mittelmeerraums ist.“
Seit 2018 veröffentlichen Sie zudem unter dem von Ihnen gewählten Pseudonym `Vitu Falconi´ zudem Thriller-Geschichten, die auf Korsika spielen. Warum Korsika als Handlungsort?
Thomas Thiemeyer: Ich wage mal die steile These, dass Korsika die schönste und interessanteste Insel des gesamten Mittelmeerraums ist. Das Gebirge ist mit knapp 3.000 Metern bereits hochalpin. Zu seinen Füßen blaues Meer, verwunschene Buchten und Taucherparadiese. Dazwischen dichte, undurchdringliche Wälder, Esskastanien und Wildschweine. Die Küsten sind relativ unverbaut, weil die Korsen es geschafft haben, die großen Hotelkonzerne von ihrer Insel fernzuhalten. Die Naturfreunde wird‘s freuen. Doch auch Kultur, Literatur und Musik kommen nicht zu kurz. Die Korsen sind stolz, wortkarg und lieben gutes Essen. Kann man sich etwas Schöneres vorstellen? Gut, hin und wieder haben sie eine kriminelle Ader – siehe sizilianische Mafia- , doch die richtet sich nie gegen Besucher und Touristen. Denn von denen leben sie ja – und Korsen sind gute Geschäftsleute. Mal ehrlich: für einen Autor kann es kaum ein spannenderes Umfeld geben.
In dieser, auf der französischen Mittelmehrinsel spielenden, Buchreihe löst der französische Krimi-Autor `Eric Marchand´ als Protagonist die einzelnen Kriminalfälle. Aktuell ist mit `Korsische Vendetta´ der dritte Band Ihrer Krimireihe erschienen. Worauf können sich die Leserinnen und Leser freuen?
Thomas Thiemeyer: In `Korsische Vendetta´ löse ich alle Handlungsfäden auf, die ich in Band 1 und 2 aufgebaut habe, drehe die Spannungsschraube noch mal richtig an und bringe die Geschichte (vorerst) zu einem hoffentlich befriedigenden Ende. Die Geschichte rund um Eric Marchands Vergangenheit, seine Liebe zu Laurine, aber auch seine Feindschaft zu Mateu, dem Sohn des obersten Mafiabosses, werden hier noch einmal auf die Spitze getrieben und zum Abschluss gebracht. Leserinnen und Leser dürfen sich auf ein Drama mit shakespeareschen Qualitäten gefasst machen (lacht).
„Ich male erzählerisch und schreibe malerisch.“
Ehe Sie mit dem Schreiben von Büchern begannen, waren Sie bereits viele Jahre als renommierter Illustrator tätig und konnten hierbei mit diversen Verlagen bei der Illustration unterschiedlichster Buchtitel, Buchumschläge, Jugendbücher oder Spiele zusammenarbeiten. Ist das Zeichnen Ihre zweite Leidenschaft?
Thomas Thiemeyer: Es ist sogar meine erste. Nicht meine größte, aber zeitlich gesehen kam das Malen vor dem Schreiben. Tatsächlich nutze ich jede freie Minute, um zu Pinsel, Ölfarbe und Staffelei zu greifen. Wobei ich die beiden Tätigkeiten – Schreiben und Malen – nicht als Gegensätze verstehe, sondern als Ergänzung. Ich male erzählerisch und schreibe malerisch. Beiden Medien liegt der Wunsch zugrunde, Geschichten zu erzählen. Und das macht sie für mich zu zwei Seiten derselben Münze.
Auf Ihrer Website finden sich unzählige Bildmotive und Kunstdrucke Ihrer Gemälde und Illustrationen in Öl und Acrylfarben, die die Betrachter in fantastische Welten und faszinierende Szenen eintauchen lassen. Woher nehmen Sie Ihre Ideen für die einzelnen Bildmotive?
Thomas Thiemeyer: Die stammen tief aus meinem Unterbewusstsein. Inzwischen gönne ich mir den Luxus, nur noch selten Auftragsarbeiten anzunehmen und Kundenwünschen zu entsprechen. Vielmehr kann ich das machen, worauf ich selbst Lust habe und was mich antreibt. Im Grunde unterscheidet das die Kunst von der Gebrauchsgrafik. Was dabei herauskommt, können geneigte Betrachter auf www.redbubble.com oder www.thiemeyer.de bestaunen, wo es meine schönsten Arbeiten als hochwertige Kunstdrucke zu kaufen gibt …*Werbeblock Ende*… (lacht).
Die Buchcover Ihrer World- Runner- und Evolution-Reihen sind in analogem Stil gestaltet, entstammen jedoch überraschenderweise nicht aus Ihrer Feder, sondern wurden von dem Concept-Artist Jann Kerntke erstellt. Hat es einen Grund, warum Sie Ihre eigenen Bücher nicht selbst illustriert haben?
Thomas Thiemeyer: Für meine Pentalogie `Die Chroniken der Weltensucher´ habe ich meine Cover noch selbst gemalt. Doch diese Reihe spielt im ausgehenden 19. Jahrhundert und zu Zeiten von Jules Verne. Da hat meine Ölmaltechnik gepasst. Für `Evolution´, `World Runner´ und jetzt im Mai das anstehende `Countdown´, ist meine Maltechnik zu tradiert. Da muss ein frischer Strich her, eine moderne Bildgestaltung, die vielleicht sogar ein bisschen an Computerspiele erinnert. Der Sinn dahinter ist schnell erklärt: wir wollen auch die Jungs und Mädchen ans Lesen bringen. Und alles, was die Hemmschwelle zum Lesen senkt – und sei es nur die Covergrafik – ist willkommen.
„Das einzig entscheidende Kriterium eines guten Whiskys ist die Qualität im Glas.“
Auf Ihrem eigenen Online-Kanal `Der Whisky Club` bieten Sie für Interessierte und Whisky-Liebhaber viel Wissenswertes rund um das `Goldene Getränk` an und geben zudem Whisky-Empfehlungen preis. Was macht für Sie einen guten Whisky aus?
Thomas Thiemeyer: Dass er gut riecht und gut schmeckt. Es ist weder wichtig, wie alt er ist, noch, welche Fässer Verwendung gefunden haben oder ob die Destillerie einen großen Namen trägt. Das einzig entscheidende Kriterium eines guten Whiskys ist die Qualität im Glas. Natürlich haben Alter, Fässer, Getreidesorten, ja sogar die verwendeten Hefekulturen und die Form einer Brennanlage einen Einfluss auf den Geschmack, aber der ist eben höchst subjektiv. Alles, was ich als Whiskytaster tun kann, ist, meine persönliche Meinung kundzutun, das Preis/Leistungsverhältnis zu bewerten und eine finale Punktvergabe zu machen. Wenn die ehrlich und wahrhaftig ist – und das ist sie, da ich alle getesteten Whiskys aus eigener Tasche bezahle- , kann ich den Zuschauern und Zuschauerinnen vielleicht einen kleinen Leitfaden durch die verwirrend große Anzahl an Anbietern und Abfüllungen des `Uisge Beatha – des Wassers des Lebens´ bieten.
Herzlichen Dank Herr Thiemeyer für das spannende Interview!
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Interview: Andreas Detert / Fotos: Thomas Thiemeyer privat, Arena Verlag, Knaur